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EU-Kommission spielt mit dem Feuer

Gastbeitrag für DIE ZEIT von Fabio De Masi und Sahra Wagenknecht

Fabio De Masi und Sahra Wagenknecht

Obwohl die EZB ständig Geld verteilt, schwächelt die Realwirtschaft in Europa. Die EU-Kommission will das mit einer Kapitalmarktunion lösen. Das ist ein schwerer Fehler. Der Gastbeitrag von Sahra Wagenknecht und Fabio De Masi erschien am 05.03.2017 auf ZEIT ONLINE.

 

Die Europäische Kommission beklagt die anhaltend schwachen Investitionen in Europa – und hat die vermeintliche Lösung dafür schon parat: Die Unternehmen sollen ihre Investitionen in Zukunft unabhängiger von Bankkrediten finanzieren können. Denn, so die Argumente der Kommission, die Banken vergäben wegen der faulen Papiere in ihren Bilanzen zu wenige Kredite an Unternehmen. Außerdem erschwerten zu strenge Regeln die Finanzierung von Investitionen. 

Nun sollen die aus der US-Immobilienkrise berüchtigten Verbriefungen – die Bündelung, Verpackung und der Verkauf von Krediten unterschiedlicher Qualität – neu belebt werden. Sie sollen es ermöglichen, Kreditrisiken über Ländergrenzen hinweg zu verteilen. Das mache die Unternehmensfinanzierung unabhängiger von der nationalen Konjunktur, argumentiert die EU-Kommission. Ihr Ziel ist also eine Kapitalmarktunion.

Über die Verbriefung von Krediten könnten sich Banken zudem fauler Papiere entledigen. Institutionelle Investoren wie Pensionsfonds oder Schattenbanken könnten Verbriefungen kaufen, Liquidität erhöhen und somit den Banken die Kreditvergabe erleichtern, erklärt die Kommission. Darum würden insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) von der Kapitalmarktunion profitieren.

Investitionen durch Finanzakrobatik?

Doch die Argumente der Kommission überzeugen nicht. Die schwachen Investitionen in der EU haben nichts mit einer unzureichenden Entwicklung der Kapitalmärkte oder einer zu strengen Regulierung von Banken zu tun. In den USA ist seit dem Dodd-Frank Act die Regulierung der Banken in vielen Bereichen sogar strenger als in der EU. Dennoch hat sich seit der Krise der Bankkredit dort dynamischer entwickelt als die Finanzierung über Kapitalmärkte.

Hinzu kommt: In Europa sind die Unternehmen im Schnitt noch kleiner als in den USA, denn die Märkte in der EU sind aufgrund verschiedener Rechtsordnungen und Sprachen regionaler. Die unterschiedlichen Insolvenzordnungen erschweren Investoren hier eine grenzüberschreitende Beurteilung der Risiken, und für kleinere Unternehmen ist der Zugang zum Kapitalmarkt mit höheren Kosten für Publizitätspflichten oder externe Ratings verbunden.

Doch selbst in den USA spielen die Kapitalmärkte für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) kaum eine Rolle. Daher räumte der ehemalige EU-Finanzmarktkommissar Jonathan Hill im Februar 2015 in einer Rede am Brookings-Institut in den USA auch ein, dass die Kommission die KMU nur anführe, weil man dies in Europa so machen müsse, wolle man politisch etwas durchsetzen.

Auch mit Regulierungsdichte lassen sich die Unterschiede in der Kreditvergabe innerhalb der EU – etwa zwischen italienischen oder deutschen Banken – nicht erklären. Auch ohne Kapitalmarktunion wurde vor der Krise in der EU stärker investiert als heute. Und es war gerade die starke Vernetzung der Banken mit den Kapitalmärkten und die unzureichende Trennung des Investmentbanking vom klassischen Kredit- und Einlagengeschäft, die zu einer systemischen Bankenkrise führten.

Die EU-Kommission versichert, sie wolle nur die Zertifizierung einfacher, sicherer und transparenter Verbriefungen (STS) ermöglichen – und die seien nicht mit US-Hypothekendarlehen minderer Qualität vergleichbar. Doch daran sind erhebliche Zweifel angebracht. Investoren trauen Verbriefungen offenbar nicht, sonst wäre ihre Förderung durch regulatorische Anreize, etwa beim Eigenkapital, nicht nötig.

Die Kommission schafft vielmehr Anreize, das unternehmerische Prinzip der Haftung weiter aufzulösen. Bei der Verbriefung für sogenannte Junior-Tranchen – nachrangige Papiere, bei denen im Fall eines Kreditausfalls die ersten Verluste anfallen – sollen die Verkäufer nur fünf Prozent der Tranche in ihren eigenen Büchern halten müssen. Das regt dazu an, anderen die faulen Eier unterzujubeln. Außerdem lösen sich faule Kredite nicht einfach in Luft auf, wenn Banken diese über Verbriefungen abstoßen. Sie werden vielmehr weitergereicht wie eine heiße Kartoffel. Risiken werden gestreut. Das ist, als stellte man in einer Arztpraxis mit Grippepatienten die Klimaanlage an.

Die Gründe für die schwache Kreditvergabe der europäischen Banken und für die höhere Wachstumsdynamik in Amerika sind schlicht: Die USA haben nach der Krise ihre Banken unter öffentlicher Regie beherzter ausgemistet. Währenddessen setzte die EU vor allem auf die Kürzung von öffentlichen Investitionen, Löhnen und Renten. Das dämpft die Nachfrage und somit die Investitionsbereitschaft von Unternehmen. Wie eine Umfrage der EZB ergab, betrachten Unternehmen als ihr größtes Problem daher nicht den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten, sondern fehlende Absatzchancen.

Der Schlüssel zu mehr privaten Investitionen in der EU sind darum öffentliche Investitionen. Nur dann können Banken aus den faulen Portfolios herauswachsen. Wir brauchen zudem eine Neuordnung des Bankensektors: Banken, die zu groß und zu vernetzt zum Scheitern sind, müssen aufgespalten werden, um eine glaubwürdige Haftung von Eigentümern und Aktionären und somit einen Abbau der faulen Papiere zu ermöglichen. Die EZB sollte generell Risikopapiere nur dann in ihre Bilanz nehmen, wenn die Banken auf strikte Investitionsziele verpflichtet werden. Wir brauchen zur Finanzierung von Investitionen wieder mehr boring banking: mehr Sparkasse statt mehr Finanzmarkt.

Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL)