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„Wenn Millionen zu Terroristen erklärt werden"

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Martina Michels im Gespräch mit einer der Anwältinnen der Co-Vorsitzenden der HDP, April 2017

Please find English version below.

Martina Michels, stellvertretendes Mitglied in der Parlamentarischen Delegation EU-Türkei, reiste am gestrigen Mittwoch nach Ankara und nahm heute am Prozess gegen die Co-Vorsitzende der HDP, Figen Yüksekdağ, teil. Neben Michels waren weitere internationale Prozessbeobachter*innen unter anderem aus Frankreich und Schweden zugegen. Die Europaabgeordnete kommentiert die Anklage und das Verfahren:

Martina Michels mit den Anwälten und Anwältinnen vor dem Verhandlungssaal

 

"Den seit Anfang November 2016 verhafteten beiden Co-Vorsitzenden der HDP wird - wie so vielen anderen - von den türkischen Behörden Terrorpropaganda vorgeworfen. Der Prozess am heutigen Tag geht auf Interviews in deutschen Tageszeitungen zurück, in welchen sich Figen Yüksekdağ sachlich zur PKK äußerte und festhielt, dass die HDP kein verlängerter Arm der PKK ist, sie andererseits jedoch eine nicht zu leugnende Realität darstelle. Sie schätzte die HDP in diesem Zusammenhang ein ums andere Mal als Hoffnungsträgerin einer friedlichen Lösung der sogenannten Kurdenfrage ein.“

Die Co-Vorsitzende gilt als gewichtige Stimme der Frauenbewegung in der Türkei. Ihr wurde - im Unterschied zu allen anderen verfolgten und inhaftierten Abgeordneten - von einem Gericht inzwischen der Status einer gewählten Abgeordneten der Nationalversammlung aberkannt und ebenso ihre Mitgliedschaft in der HDP. Martina Michels kommentiert nach Gesprächen mit vielen ihrer Weggefährtinnen:

"Es ist besonders auffällig, dass mit dem rasanten Demokratieabbau in der Türkei durch Erdoğans Schritte auf dem Weg zu seinem Präsidialsystem verstärkt eine Strategie gegen politisch aktive Frauen durchgesetzt wird. Eine Regierung, deren Präsident sich offen gegen Gleichberechtigung von Frauen ausspricht, praktiziert hier in besonderer Weise einen Prozess des Unsichtbarmachens von Frauen im öffentlichen und politischen Leben. Dass dies gerade an der größten Oppositionspartei exekutiert wird, die zudem die einzige ist, die eine Co-Vorsitzendende hat, ist mehr als ein symbolischer Akt. Es ist eine Machtdemonstration gegen politisch engagierte Frauen, die sich für Freiheit und Selbstbestimmung einsetzen."

Im Prozess äußerte sich die über Video zugeschaltete Co-Vorsitzende zur Illegitimität des Urteils über ihre Aufhebung des Parlamentsmandats und der Parteimitgliedschaft. So etwas ist weder in der türkischen Verfassung vorgesehen noch gab es vergleichbare Urteile in der türkischen Rechtsprechung. Sie hob zu Prozessbeginn hervor, dass sie als Repräsentantin der HDP von sechs Millionen Wählerinnen und Wählern für ihr politisches Mandat legitimiert wurde und daher bei einer solchen Rechtsprechung in den vorangegangenen Prozessen, wie auch in der heute stattgefundenen, nicht als Einzelperson stehe. Daher betonte sie, dass mit ihrer Anklage Millionen zu Terroristen erklärt würden.

Martina Michels erfuhr aus den Gesprächen am Rande des Prozesses, dass die Zerstörung zivilgesellschaftlicher Organisationen in besonderer Weise Frauenorganisationen und Initiativen galt, die sich gegen Gewalt an Frauen und für politische und sexuelle Selbstbestimmung einsetzten. "Bei den Ausübungsverboten im Zuge des Ausnahmezustandes traf es 56 Organisationen, die sich besonders für Gleichstellung und Frauenrechte einsetzten, wie mir Vertreterinnen der Frauenversammlung der HDP berichteten."

Am heutigen Prozesstag wurden letztlich nur Interpretationen ihrer Interviewaussagen vorgetragen ohne dass bisher den Anwälten und der Angeklagten der Interviewtext zugesandt wurde. Nachdem die Anwälte diesen Sachverhalt einforderten, der zur Erarbeitung der Verteidigung die mindeste Voraussetzung darstellt, wurde die Verhandlung auf Juni vertagt.

Abschließend hielt Martina Michels fest: "Einerseits ist es schmerzhaft, der Absurdität eines unfairen Prozesses gegen die politische Opposition in der Türkei beizuwohnen. Andererseits ist die Teilnahme vieler Prozessbeobachterinnen und -Beobachter aus verschiedenen Ländern ein wichtiges Signal. Dies ist wenige Tage vor dem Referendum über das Präsidialsystem, dessen demokratische Legitimität innerhalb des Ausnahmezustandes sehr in Zweifel steht, ein Akt der Solidarität mit der verfolgten politischen und gesellschaftlichen Opposition. Andererseits ist die Prozessbegleitung auch ein Moment der Hoffnung auf eine demokratische Türkei, in der politische Grundrechte, Medienfreiheit und Selbstbestimmung von Frauen und Männern nicht unter den Entscheidungen und Folgen des Ausgangs des Referendums am kommenden Sonntag begraben werden."

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Ankara trial of HDP leadership an attack on democracy and feminism

 

GUE/NGL’s Martina Michels - a substitute member of the European Parliament’s Delegation to Turkey - travelled to Ankara this week and along with international observers from France and Sweden, the German MEP attended the trial of Figen Yüksekdağ, the co-chairmen of the Halkların Demokratik Partisi (HDP, Peoples' Democratic Party) who has been held by the authorities on ‘terrorism’ charges since November last year

In court, Yüksekdağ appeared via video link along with co-chair Selahattin Demirtaş and the pair voiced their opposition to the illegal ban over their parliamentary mandate and membership. Yüksekdağ also pointed out that as a representative of the HDP, the party has a mandate that was legitimised by six million voters. She added that by putting the leadership on trial is an open declaration that all of its supporters are also ‘terrorists’.

Commenting on the developments in the Turkish capital - which came ahead of this Sunday’s constitutional referendum that could give President Erdoğan even more power - Michels said:

“Like so many others, the two co-chairmen of the HDP - both incarcerated since November 2016 - are accused of terrorist propaganda by the Turkish authorities. The trial was based on interviews with German newspapers in which Figen Yüksekdağ spoke objectively about the Kurdistan Workers’ Party (PKK) and explained that the HDP is not a wing of the PKK, and that her party represents how many people feel in Turkey. The HDP also once again reiterated its hope for a peaceful solution to the so-called Kurdish question,” she said.

In spite of her arrest, Yüksekdağ remains a very influential voice of Turkey’s feminist movement. However, NGOs which focussed on feminism and campaigned against violence against women have been targeted. Unlike all her other colleagues who have also been arrested, a court in Turkey has now recognised her status as an elected member of the Grand National Assembly as well as her HDP membership, with Michels noting:

"It is particularly striking that with the rapid destruction of democracy in Turkey, a strategy against politically active women is being pursued by President Erdoğan in order to strengthen his own presidency.” 

“This is a government whose leader is openly opposed to the equality of women and supports the invisibility of women in public and political life. The fact that such action is being directed at the opposition HDP - the only one with a female co-chair - is more than a symbolic act. It is a demonstration of power against politically committed women who work for freedom and self-determination,” argues Michels.

Concluding her thoughts after the trial was adjourned until June due to an administrative error by the court, the German MEP said:

"On the one hand, it is painful to witness the absurdity of this unjust trial against an opposition party in Turkey. However, the presence of so many international observers is highly important as it comes just a few days before the constitutional referendum. With that upcoming vote’s democratic legitimacy very much in doubt, this is an act of solidarity with the persecuted - both political and social.” 

“On the other hand, our support is also a moment of hope for a democratic Turkey which values basic political rights and media freedom, plus the self-determination of women and men - all of which must not be swept aside by the outcome of this referendum on Sunday,” Michels said.

GUE/NGL Press Contact: Ben Leung
STB +33 3881 72949| BXL +32 228 32299
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benjamin.leung@europarl.europa.eu

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