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Sind das noch Alternative Fakten oder schon Fake News, Herr Giegold?

Helmut SCHOLZ

Gestern (Mittwoch) entschied das Plenum des Europaparlaments über den Gesetzgebungsvorschlag zur künftigen Sitzverteilung im Europaparlament ab 2019. Unter anderem mit Blick auf die nächsten Europawahlen und unter der notwendigen Berücksichtigungen des anstehenden Austritts des Vereinigten Königreichs (Brexit), sowie zwecks der notwendigen Beseitigung des bestehenden Rechtsbruchs in der gegenwärtigen Sitzverteilung durch die Verletzung der repräsentativen Verhältnismäßigkeit. In diesem Zuge wurde auch über die Möglichkeit entschieden, Kandidierende neben den nationalen Listen künftig außerdem über transnationale – europäische – Listen wählen zu können. Die entsprechende Passage im Legislativen Vorschlag wurde mit 386 zu 248 Stimmen mehrheitlich abgelehnt. Das Dossier ist eng mit der nach wie vor im EU-Rat auf Eis liegenden Reform der Wahlgesetzgebung verbunden. Helmut Scholz (DIE LINKE.), Mitglied im EP-Verfassungsausschuss (AFCO), kommentiert die dazugehörige öffentliche Berichterstattung, unter anderem durch Europaabgeordnete anderer Fraktionen:

„Die Sitzverteilung war und ist seit langem ein Thema mit hohem Konfliktpotential, im Europaparlament genauso wie im Rat der Mitgliedstaaten. Nicht ohne Grund, denn diese wichtige Grundsatzfrage ist auf das engste mit innenpolitischen Entwicklungen in den Nationalstaaten verknüpft. Das war und ist auch in der EP-Linksfraktion GUE/NGL nicht anders, genauso wie in allen sieben anderen EP-Fraktionen.“

„Genau dies wird jedoch seitens einiger Mitglieder der Grünen/EFA-Fraktion bewusst ausgeblendet. Womöglich auch mit dem Bedürfnis, sich selbst als Gralshüter demokratischer Vertiefung der EU-Politik zu inszenieren – quasi als der vermeintlich letzte 'wahre Proeuropäer‘. Wenn die Situation aber dann zu komplex wird, muss da eben auch mal etwas weggeschwiegen werden. Frei nach dem Motto: Nur die frühe Pressemitteilung bringt das Zitat, verkündete Sven Giegold bereits drei Stunden vor Veröffentlichung der namentlichen Wahlergebnisse lauthals via Presseerklärung, Newsletter und Social Media, dass die linke, die rechtspopulistische, die christdemokratische und die EU-skeptische Fraktion gemeinsame Sache gegen Europa gemacht hätten. So einfach, wie Herr Giegold dies darstellt, ist es jedoch nicht."

„Die Abstimmung spiegelt recht deutlich die gegenwärtigen Kräfteverhältnisse im Europäischen wie in nationalen Parlamenten wider. Darüber hinaus werden damit auch die unterschiedlichen Sichten in den Gesellschaften der 28 EU-Mitgliedstaaten auf die zu gehenden Schritte hin zu einer stärkeren Demokratisierung europäischer Entscheidungsprozesse gut ein Jahr vor Beginn der heißen Wahlkampfphase 2019 konkret wahrnehmbar. Der vom Ausschuss für konstitutionelle Fragen (AFCO) vorgelegte Bericht war pragmatisch und politisch sinnvoll, auch weil er erstmalig den mehrheitlichen Mut aufbrachte, die transnationalen Listen im Legislativvorschlag zu verankern. Jedoch müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass diese Ambitionen bei weitem noch nicht der Mehrheitsmeinung des Parlaments entsprechen. Und zwar über alle Fraktions- und nationalen Delegationsebenen hinweg. Wenn Herr Giegold also über Konflikte und Widerstände aus den EP-Fraktionen sprechen möchte, sollte er differenzieren und mit jenen 30% anders als von ihm gewünscht abstimmenden Abgeordneten seiner eigenen, der Grünen/EFA-Fraktion, beginnen.“

„Ja, auch ich hätte es gerne anders gesehen und hatte auf mehr Mut und langfristige Sichten meiner Kollegen und Kolleginnen gehofft. Das Signal sollte jetzt jedoch nicht das gegeneinander Stimmung machen sein, wie es Sven Giegold hierbei praktiziert - aus welchen Gründen auch immer. Stattdessen sehe ich unsere Aufgabe als Abgeordnete vor allem auch darin, den so dringend notwendigen Diskurs um die Demokratisierung europäischer Entscheidungsprozesse gemeinsam voranzutreiben und die demokratischen mit den sozialen Erfordernissen zu verbinden. Die auf transnationalen Listen, wie die auf nationalen Listen antretenden Abgeordneten beziehungsweise Kandidaten und Kandidatinnen, und wie auch europäische politische Parteien und Bewegungen, stehen da vor gleichen Aufgaben. Zumal mit dem jetzt an den Rat zur Entscheidung weitergeleiteten Vorschlag kein dauerhaftes Verfahren für die Sitzverteilung vorliegt. Spätestens das nächste EP wird sich ab 2021/2022 wieder mit dem Thema befassen müssen. Alle Fragen, die man in dieser Wahlperiode nicht lösen wollte oder noch nicht konnte, werden auch dann noch auf dem Tisch liegen und zu bearbeiten sein, auch von Seiten unserer Fraktion.“


Hintergrund:

Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmung finden Sie hier, Hübner-Bericht: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+PV+20180207+RES-RCV+DOC+PDF+V0//DE&language=DE

Alle Fraktionen im Europaparlament, außer den Fraktionen der Europäischen Volkspartei, der Rechtspopulisten und der Konservativen, waren in dieser Frage massiv gespalten. In den meisten Fällen 1/3 zu 2/3, an manchen Stellen sogar ½ zu ½ - in jeder einzelnen Entscheidung traf dies auch auf die Grüne/EFA-Fraktion, wie eben auch die Linksfraktion GUE/NGL zu. Hätten hingegen sowohl die grüne als auch die linke-Fraktion jeweils geschlossen für transnationale Listen gestimmt, hätte es noch immer nicht für eine dahingehende Mehrheit gereicht. Die Abgeordneten aus der EVP-Fraktion, der EKR-Fraktion, sowie die ALDE- und S&D-"Ausreißer*innen" waren einfach zu viele. 

Von der Delegation DIE LINKE. stimmten fünf von sechs anwesenden Abgeordneten für die transnationalen Listen.

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