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Türkei-Wahl: Tief gespaltenes Land und auf Repression gestützte Präsidialmacht

Wahltag in Diyarbakir 1.11.2015

Martina Michels, Mitglied der EU-Türkei-Delegation, kommentiert den doppelten Wahlsieg Erdoğans in einem unübersehbar unfairen Wahlkampf, der zugleich eine lebendige Opposition hinterlässt und eine HDP, die erneut die 10% Hürde schafft.

„Weit vor der Auszählung der meisten Wahllokale kürt sich Erdoğan bereits zum Wahlsieger. Seine AKP und sein Griff nach der präsidialen Alleinherrschaft haben im Ausnahmezustand, unter schärfster Repression gegen die politische Opposition, gewonnen und zugleich die Risse in einem gespaltenen Land vertieft.“

„Mein Glückwunsch gilt zuerst einer beeindruckenden HDP, die unter denkbar schweren Bedingungen, die ohnehin antidemokratische Hürde von 10 Prozent erneut knacken konnte, obwohl ihre bekanntesten Politikerinnen und Politiker seit 2016 in Haft sitzen beziehungsweise viele Kommunalpolitikerinnen und -Politiker ebenso eingesperrt und bedroht werden. Die Wahl- und Parteibüros waren und sind unzähligen Angriffen ausgesetzt und trotzdem haben sich ihre Wähler*innen nicht einschüchtern lassen. Auch der Kandidat der CHP, Muharrem İnce, und viele Bürgerinnen und Bürger haben in den vergangenen Wochen gezeigt, dass eine präsidiale Türkei Erdoğans für Millionen keine Hoffnung, keine Perspektive bedeutet.“

„Der Zweifel am rechtmäßigen Ergebnis der Wahlen ist groß. Es wurde Wahlbeobachter*innen nicht nur die Einreise verwehrt, auch vor Ort gab es unter anderem massenweise Stimmzettel für die AKP in Bezirken, die zuvor viel niedrigere Wahlbeteiligungen hatten. Erneut gab es bewaffnete Einschüchterungen vor Wahllokalen vor allem im Südosten der Türkei. Dass Erdoğan daher nicht einmal in die Stichwahl muss, und seinen permanenten Ausnahmezustand nun als neue Staatsform zu festigen vermag, ist ein Ergebnis, dass dem Land trotz der vielen AKP-Anhänger*innen, auch im Ausland, weiter schaden wird. Demokratie und Menschenrechte lassen sich nicht per entmachtetem Parlament, abhängigen Verfassungsrichter*innen und einer Regentschaft mit Dekreten knebeln. Die junge Generation, Frauen, Kurden und die vielgestaltige Opposition wird sich die Vollendung der Diktatur nicht bieten lassen.“

Abschließend hält Martina Michels fest: „Die Vertreter*innen der EU-Institutionen sollten endlich eine klare Sprache sprechen, statt den Kuschelkurs mit einem gefährlichen Despoten zum Geschäftsmodell der Abwehr von Geflüchteten verkommen zu lassen. Es ist Zeit, die Opposition in der Türkei im Kampf im Demokratie und Medienfreiheit, um Grund- und Minderheitenrechte umfassend zu unterstützen. Die Venedig-Kommission hat bereits die Umstände des Referendums im April 2017 scharf kritisiert. Ihre verfassungsrechtliche Beratung der Mitgliedsländer, zu denen auch die Türkei gehört, sollte Maßstab in den politischen Auseinandersetzungen sein. Das bedeutet letztlich, das Schweigen zum Ende einer türkischen Demokratie zu brechen, Verfahren vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zügig zu bearbeiten und die externe Aufarbeitung von Wahlbetrug zu begleiten. Eine Türkei auf dem Weg in die Despotie Erdoğans ist nicht nur für die Region, für die Lage in Syrien und im Iran ein Desaster. Europa hat für die Stärkung demokratischer Kräfte in der Türkei eine enorme Verantwortung.“

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