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Martinas Woche 20_2020 Digitales Plenum – Irdische Konflikte – Halbherzige Politik

Regionalausschuss: Just Transition Fonds – Plenum: EU-Haushalt & MFR – Nochmal zum Bundesverfassungsgerichtsurteil – Wissen und Glauben: Fake-News – Idahobit2020

Grafitti in der Matongé im Stadtteil Ixelles, Brüssel

In Brüssel tagten in der vergangenen Woche die Ausschüsse und von Mittwoch bis Freitag das Plenum des Europaparlaments. Viele Abgeordnete waren wieder digital zugeschaltet, doch bisher mit einem geteilten Rederecht. Waren Abgeordnete in Brüssel, konnten sie reden, waren sie im Home Office, dann konnten sie nur abstimmen. Das muss sich schleunigst ändern. So, wie Martina Michels im Regionalausschuss zugeschaltet werden konnte, so muss das auch in den Aussprachen im Plenum organisiert werden. Ansonsten beraubt sich das Parlament selbst einer entscheidenden Funktion, nämlich, vor seinen Entscheidungen eine transparente parlamentarische Debatte zu führen. Das muss auch während der nötigen Reiseeinschränkungen funktionieren und bis zur Sommerpause endlich installiert werden. Warum ist das so schwer? Ganz einfach. In den Ausschüssen wurden die Sprachen reduziert, im Parlament ist das unmöglich. Und sicher, es ist nicht einfach, dafür ein funktionierendes, voll digitales System zu entwickeln. Wir sollten aber die Hoffnung nicht aufgeben, denn auf diese Weise wird z. B. auch eine multilinguale Form von Barrierefreiheit erprobt werden können. Das sollte doch alle Mühen wert sein, vielleicht auch, um in Zukunft Reisetätigkeiten einzuschränken. 

Uns beschäftigte in der letzten Woche einmal mehr die Debatte um den neuen EU-Haushalt, die Wege aus der Corona-Krise und Deutschlands seltsame Rolle, wenn es darum geht, in Europa solidarisch zu handeln.

Weltweit ist die Corona-Krise auch ein Kampf zwischen einem starren Wissenschaftsverständnis, bis hin zur Wissenschaftsfeindlichkeit, und Glaubenssätzen. Sie zeitigt neben den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Problemen auch Folgen, die durch eine konfliktreiche politischen Kommunikation entstehen und durch einen Boulevard-Journalismus verstärkt werden. Diese Konfliktlage wollen wir auch diese Woche weiter diskutieren.

Am heutigen Sonntag wird weltweit der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie begangen, der vor 15 Jahren ins Leben gerufen wurde. Bedenkt man, dass Transsexualität erst vor zwei Jahren aus der WHO-Liste der Krankheiten gestrichen wurde und Homosexualität erst vor 29 Jahren, so ahnt und weiß man, welch mühseliger kultureller und sozialer Turn hinter dieser Beendigung der Diskriminierung steckt und das das meiste noch vor uns steht.

 

Regionalausschuss debattiert den Fonds für einen gerechten Übergang (Just Transition Fonds)

Es geht um nicht weniger als den Ausstieg aus der fossilen Energiebasis. Im Februar stellte die EU-Kommission den lang erwarteten Vorschlag für einen „Fonds für einen gerechten Übergang“ vor, auch bekannt als „Just Transition Fonds“ (JTF). Dieser Fonds sollte ein Instrument werden, das die betroffenen Regionen, Gemeinden, lokalen Gemeinschaften und Arbeitnehmer bei diesem Wandel unterstützt. Es ist eingebettet in das bewährte System der EU-Strukturfonds… Er soll jedoch dazu beitragen, Probleme zu lösen, die nicht in allen Mitgliedstaaten und Regionen gleich ausgeprägt sind. Daher sind spezifische Vorschriften erforderlich und gerechtfertigt. Martina erläuterte am Montag in der Debatte linke Anforderungen an den neuen Fonds. Nora Schüttpelz hat sie dazu interviewt und das Video der Ausschussdebatte, in der Martina den Stand der Debatte und die weitere Arbeit am Bericht skizziert, findet ihr dort auch, oder geht hierhin direkt per Link.

 

Fraktion setzt auf Solidarität mit einem detaillierten Plan aus der Corona-Krise

Infektionsschutz - Symbolbild

Unsere Fraktion hat einen „Long-Read“ verfasst, wie wir aus der Krise kommen, worum es dabei gehen muss, was sich ändern muss, weil es schon lange auf den Prüfstand gehört und zum Teil die Corona-Krise noch unnötig verschärft hat. Der Nachteil: Es ist ein sehr langes Papier, in das man sich vertiefen muss. Der Vorteil: Es ist sehr detailreich und grast Schritt für Schritt Lebensbereiche ab, in denen sinnvolle politische Maßnahmen greifen müssen und Europapolitik eine besondere Verantwortung hat. Letztlich ist es eine gute Diskussionsbasis, ein aktualisiertes Arbeitsprogramm linker Europapolitik. Unsere zentralen Forderungen in diesem Plan für neue Wege für Europa nach der Pandemie:

  1. ein Pakt für nachhaltige Entwicklung und Beschäftigung als Ersatz für den umstrittenen und viel kritisierten Stabilitäts- und Wachstumspakt;
  2. eine grundlegende Überarbeitung der Rolle und Funktionsweise der Europäischen Zentralbank;
  3. die Unterstützung der EU für die Anforderung von Gesundheitseinrichtungen und Produktionsstätten zur raschen Mobilisierung von Kapazitäten zur Reaktion auf die Krise und neue Ausbrüche;
  4. die Finanzierung der Krisen-Anforderungen durch höhere Steuern für große Unternehmen und vermögende Privatpersonen sowie eine Finanztransaktionssteuer;
  5. den grünen Übergang zu einem Mittel zur Erholung zu machen und sein Tempo zu beschleunigen, indem die CO2-Emissionen bis 2030 um 70 % gesenkt und die CO2-Neutralität bis 2040 erreicht werden;
  6. die Sicherstellung, dass Kontaktverfolgungs-Apps die Privatsphäre und die Grundrechte respektieren und verhältnismäßig, transparent und vorübergehend sind.

Plenartagung: Zukunftsfragen der EU-Haushalts- und Krisenbekämpfungspolitik

Martin Schirdewan

„Mutige Politik wäre es, die Einnahmeseite des Haushaltes konkret zu stärken: Europäische Digitalsteuer, umfassende Finanztransaktionssteuer und eine einmalige Vermögensabgabe des reichsten 1 Prozent der EU-Bevölkerung. Nur so kann den entstehenden Kosten der Krise sozial gerecht begegnet werden., sagte unser Co-Fraktionsvorsitzender, Martin Schirdewan, in einer eindringlichen Rede in einen ziemlich leeren Saal im Brüsseler „Ersatzparlament“. Doch viele lauschten der Debatte um den kommenden EU-Haushalt und um den Recovery-Fonds, dessen Details die EU-Kommission schon am 6. Mai 2020 vorlegen sollte, damit es endlich einen Europäischen Fahrplan gibt, wie wir gerecht und vorwärtsgewandt aus der Krise kommen. Und ja, es musste da noch einmal gesagt werden: Richtig wären Corona-Bonds gewesen und nicht eine Neuauflage der überholten und für schlecht befundenen Instrumente, die schon nach der Finanzkrise 2008 angewendet wurden und viele Staaten dann in die nächste Krise stürzten. Martin Schirdewan zusammenfassende Erklärung findet ihr hier und seine Rede hier.

In der Schlussabstimmung am Freitag zum Mehrjährigen Finanzrahmen mit dem Wiederaufbau-Fonds (Recovery-Fonds) hat sich unsere Fraktion dann folgerichtig enthalten. Insgesamt wurde diese Resolution mit 505 Stimmen, bei 119 Gegenstimmen und 69 Enthaltungen, angenommen.

 

Andreas Fisahn zum Bundesverfassungsgerichtsurteil über EZB-Kredite 2015

Brüssel vorm Parlament

Bevor in dieser Woche die Plenardebatte begann, traf sich unsere Delegation, alle Abgeordneten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem virtuellen Meeting-Room, und hatte dazu erstmalig in diesem Format einen Gast geladen, so wie auch sonst, wenn wir uns in Brüssel treffen. Prof. Andreas Fisahn erläuterte nochmals das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das dem EuGH die ausgebliebene Verhältniskeitsmäßigkeitsprüfung von konkreten Massnahmen der EZB aus dem Jahre 2015 ankreidete, doch damit zugleich europaweit Entsetzen auslöste, da man dieses Urteil wiederum als ziemlich unverhältnismäßig empfand. Wir hatten in jedem Fall eine interessante Debatte und können es andererseits kurz machen, denn Andreas Fisahn hatte seine Position am 8. Mai 2020 nochmals bei Makroskop veröffentlicht, dem Portal, von dem wir schon die Beiträge von Flassbeck und Spieker, sowie von Höpner verlinkt hatten.

 

Wissen und Glauben über Covid-19: Vom Umgang mit Fake News, Verschwörungsvorstellungen und Grundrechtsdebatten

How long is now?, Berlin, April 2020

Über Grundrechte reden, ist nie verkehrt. Sie verteidigen und garantieren: noch besser. Niemand hat bestritten, dass mit dem Infektionsschutz gegen die Ausbreitung des Corona-Virus auch Grundrechte auf Berufsausübung, Versammlungsfreiheit (im öffentlichen Raum), das Recht auf Bildung und vieles mehr eingeschränkt wurden. Deutschland hatte dabei einen ziemlich sanften Lockdown. Andere Länder, wie etwa Italien, Spanien, aber auch Frankreich und Belgien, schränkten die Bewegungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger wesentlich strikter ein, einmal, weil deren schon vor der Corona-Krise privatisierten Krankenhäuser zum Teil ohnehin schon lokale Ausbrüche von Covid-19 nicht bewältigten und Menschen starben, weil das Gesundheitssystem im reichen Norden einer Pandemie eines unbekannten Virus nicht gewachsen war.  Es war ganz sicher in allen Gesellschaften kaum möglich, die Hammer- und Dance-Theorie von Tomas Pueyo in eine ausgewogenen politische Kommunikation umzusetzen, obwohl seine Artikelfolge aus dem März 2020 in 37 Sprachen übersetzt wurde und ca. 10 Millionen mal gelesen wurde. Relativ verwandt mit dieser Theorie scheinen auch Studienergebnisse der Gemeinschaftsarbeit des ifo Instituts (ifo) und des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) zu sein, die insofern einen ungewöhnlichen Brückenschlag zwischen gesundheitlicher und wirtschaftlicher Perspektive wagten und am 13. Mai – gut lesbar – erschien. Allein in diesen beiden Ausarbeitungen atmet eine lebendige Wissenschaft, die weder Allmachtansprüche auf Wahrheit verbreitet, noch sich nicht der Diskussion stellt. Etwas anders wird derzeit jedoch die Grundrechtsdebatte von vielen Protestierenden geführt, die manch Politiker*innen Wissenschaftsgläubigkeit unterstellen und zugleich ihre Meinung für die einzig gültige halten. In ihrer zugespitzten Art hat Margarete Stokowski in einer KolumneEin Virus, das Lunge und Ego angreift“ das Grundrechtsverständnis mancher Kritiker der Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Virus aufgespießt und es auf Egoismus und andere Verletzungen zurückgeführt.

Fakt ist, dass wir davon ausgehen müssen, auch wenn die Stuttgart oder Berlin Protestierenden sicherlich ganz verschiedene Gründe haben, dass doch rechte Erzählmuster bis hin zu angenommenen Verschwörungen dominieren, weshalb wir es uns mit der Auseinandersetzung nicht so leicht machen können. Allerdings verwundert es zugleich, dass ungleich mehr Demonstrant*innen bei Unteilbar im vergangenen Jahr oder bei Friday for Future offenbar nicht halb so viel mediale Daueraufmerksamkeit bekamen. Auch das muss uns zu denken geben.

 

17. Mai 2020 – Idahobit2020 – Queere Sichtbarkeit im Netz für Diversität

Martina Michels & Konstanze Kriese, Straßburg, 2018

Am heutigen Sonntag wird weltweit der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie begangen, der vor 15 Jahren ins Leben gerufen wurde. Bedenkt man, dass Transsexualität erst vor zwei Jahren aus der WHO-Liste der Krankheiten gestrichen wurde und erst vor 29 Jahren Homosexualität, so ahnt und weiß man, welch mühseliger kultureller und sozialer Turn hinter dieser Beendigung der Diskriminierung steckt. Das meiste steht noch immer vor uns und auch vor Rollbacks sollte niemand sicher sein, wie Ungarn dieser Tage beweist. Dort wurde die Homo-Ehe wieder abgeschafft. Und wer wirklich noch immer denkt, hier geht es mal so kurz um Identitäts- und Minderheitenpolitiken, die die sozialen Schieflagen ausblenden, der weiß ganz offensichtlich wenig von den Benachteiligungen und Repressionen von Schwulen, Lesben, Trans- und Intersexuellen. Ein Blick in Schulbücher und Vorabendprogramme sollte genügen, um die noch immer blinden Flecken der realen Diversität im Alltag aufzuzeigen, die in der medialen Öffentlichkeit oder der Bildung beispielsweise noch immer völlig ausgeblendet werden. In diesem Jahr sind wir nicht auf der Straße, doch dafür zeigen wir umso mehr Gesicht in den sozialen Netzwerken für die Gleichstellung aller Menschen, egal wen sie lieben.

Unsere Abgeordneten

Aktuelle Link-Tipps

  • Begleitung der Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie
  • EU-Fördermittel
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