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Martinas Woche 38_2020: Von der Leyen gibt die Ankündigungsweltmeisterin

SOTEU - Moria - Brexit - Just Transition Fonds - Rüstungsexport - Kultur - Belarus

Martina Michels im Brüsseler Plenarsaal, September 2020

Strasbourg lag letzte Woche ganz sicher im Sonnenschein. Doch das Europaparlament tagte in der erneut in Brüssel, coronabedingt. Mit Spannung wurde die „Lage der Union“s-Rede von Ursula von der Leyen erwartet. Was soll man sagen: sie war kein Fanal der Entspannung. Es wollte sich nicht das Gefühl einstellen, dass die Kommission sich mitten ins Auge des Orkans stellt und europäische Lösungen vorlegt, die Europa zu einem menschenfreundlicheren Ort für alle machen. Der Kommission ergeht es wie der derzeitigen Deutschen Ratspräsidentschaft. Da gibt es einerseits die großen Pläne beim Klimawandel & bei der Digitalisierung, selbst bei der Migration sollte schon im Februar 2020 etwas auf dem Tisch liegen… Und dann kam Corona, bremst mittelständische Unternehmen aus, vernichtet Existenzen vieler Selbständiger und Lohnabhängiger und gerade sprach man noch über Erdogans fatalen Umgang mit Menschen in Not, da waren sie auch schon wieder aus dem politischen Visier verschwunden und Europa hatte "mit sich" zu tun.

In ihrer Rede am vergangenen Mittwoch wurde Ursula von der Leyen nicht müde von der Erfahrung der Verletzlichkeit zu sprechen, doch sie unterschlägt, das genau diese Erfahrung sehr geteilt ist. Frauen und Beschäftigte in den Gesundheitsberufen traf Corona ganz anders als manch Autobauer, um nur die Spitze des Eisbergs anzudeuten. Dann dauerte es beinahe eine Stunde, dass von der Leyen von Moria sprach und so tut, als ob man der derzeitigen griechischen Regierung bei ihrer Politik der Abschreckung auch noch unter die Arme greifen muss. Ihre Lageanalyse bliebt mehr als unbefriedigend. Ihre Lobhudelei hinsichtlich der Anstrengungen der Kommission war pure Schaumschlägerei und so wirkten die Maßnahmen, die im einzelnen auch positive Elemente enthalten, wenig geeignet jenes von der Kommission selbst gesteckte Ziel zu erreichen, nämlich nachhaltig und gestärkt aus der Corona-Krise zu kommen.

Die Plenarwoche brachte über die Debatten mit der Kommissionspräsidentin hinaus, auf die unsere Co-Fraktionsvorsitzende Manon Aubry (hier in der Debatte zwischen der Minute: 11:15:45 - 11:21:12) antwortete, gemischte Ergebnisse u. a. bei der Profilierung des Fonds für einen gerechten Übergang (Just Transition) oder bei der Europäischen Kulturpolitik.

Helmut Scholz und Martina Michels, 16.9.2020, Place Luxembourg

 

Moria: Die Zeichen werden vor den Türen des Parlament gesetzt

Proteste für die Evakuierung von Moria vorm Europaparlament, 16.9.2020

Während Ursula von der Leyen im Parlament das völlige Versagen der Union bei der Migration in pathetische Worte verhüllt, wird vorm Parlament - auch von Abgeordneten - und auf Lesbos selbst gegen die unerträgliche Flüchtlingspolitik der EU protestiert, werden Hilfsorganisationen unterstützt und wo immer es geht, auf das Netzwerk der solidarischen Städte europaweit verwiesen. Die rechtsfreien Zustände in Moria, die vor allem das Recht auf ein fairs Asylverfahren aushebeln, sind erstens kein Einzelfall und sie bestehen fort, verstärkt seit dem Flüchtlingsdeal mit der Türkei im März 2016. Die Folgen tragen zuerst Menschen in Not, zunehmend auch die Hilfestrukturen, die seit Jahren immer mehr kriminalisiert werden, obwohl sie die oft beschriebenen Werte der EU unter grauenvollen Bedingungen leben und ein anderes Europa wachhalten, das besser heute als morgen Unterstützung durch die herrschenden Politik benötigt. Gleich zweimal meldete sich in dieser Woche unsere migrationspolitische Sprecherin, Cornelia Ernst zu Wort, die am Donnerstag nach Lesbos gefahren ist. Einmal forderte sie, dass System Hotspot sofort abzuschaffen und einmal hatte sie Gelegenheit in der Plenardebatte, die sofortige Aufnahme der Flüchtlinge durch alle Mitgliedstaaten, noch einmal an die Adresse der Kommission gerichtet, einzufordern.

 

Ursula von der Leyens Rede zur Lage der EU im Kommentar

Unser Co-Fraktionsvorsitzender Martin Schirdewan monierte unmittelbar nach der Rede: „Nach den Versprechungen zum Amtsantritt kamen heute weitere Versprechungen hinzu. Gehalten hat Ursula von der Leyen bisher keines. Will sie nicht Ankündigungsweltmeisterin werden, muss sie Inhalte präsentieren.“ Ebenso kritisierte Özlem Demirel, dass Pathos keine Politik ersetzt und legte ihren kritischen Fokus besonders auf die Lage der Beschäftigten und die abenteuerlichen Rüstungsvorhaben, letzteres in zweifacher Weise, denn sie stellte auch den Parlamentsbericht zu Rüstungsexporten vor, der ein naive Schlagseite offenbart, vor allem, wenn es um die parlamentarische Kontrolle einer der wesentlichen Fluchtursachen geht, den Rüstungsexport selbst.

Manon Aubry, Co-Vorsitzende der GUENGL-Fraktion

Martina sprach per Videobotschaft und kritisierte die u. a. Wettbewerbsfixiertheit der Kommissionspolitik, die schon den Weg aus der Finanzkrise mit absurden Sparpolitiken pflasterte. Das bedeutete nicht nur eine wachende Jugendarbeitslosigkeit, vor allem in den südlichen Mitgliedsstaaten, sondern eine unwiederbringliche Schrumpfung des Öffentlichen Dienstes. Die Folgen haben wir im Gesundheitssektor gesehen, denn der erwies sich alles andere als krisenfest während der Corona-Pandemie in vielen Mitgliedstaaten. 

Die Tagespresse berichtete europaweit über die Rede der Kommissionspräsidentin und unterschied sich dabei oft erstaunlicherweise nur graduell von der Klassifikation als Ankündigungsweltmeisterin, die Martina Schirdewan schon festhielt, so hier der Spiegel in seinem Kommentar von Peter Müller: „Von der Leyen will zupackend klingen, Entschlossenheit demonstrieren. Das ist nicht falsch, Kleinmut hat Europa genug. Trotzdem ist erstaunlich, wie sehr von der Leyen die inneren Defizite der Gemeinschaft ausblendet.  

Beispiel Migration. "Die Bilder in Moria führen uns schmerzlich vor Augen, dass Europa hier gemeinsam handeln muss", sagt von der Leyen. "Wir müssen es einfach schaffen, gemeinsam mit der Frage der Migration umzugehen. 

Aus diesen Worten spricht vor allem Hilflosigkeit. Denn von einer zupackenden Migrationspolitik kann keine Rede sein. In Wahrheit ist das Asylpaket der EU-Kommission, das nun kommende Woche präsentiert werden soll, seit Februar überfällig und immer wieder verschoben worden. Das politische Kapital, das von der Leyens Kommission bislang in eine Reform der Europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik investiert hat, ist so hoch wie das Klimaziel, das von der Leyen für die EU bis 2050 anstrebt: null.“ 

Und auch der Rechtsstaats-Diskurs der mehr die EU durch die Blockaden des Europäischen Rates im Griff hat, als das er tatsächlich zwischen den Mitgliedstaaten geführt wird, ist so eine schwierige Stelle europäischer Politik, die man mit „mal Ansprechen“ nicht ändern wird.

 

Brexit: Karfreitagsabkommen in Gefahr

"Durch den Angriff auf das Karfreitagsabkommen, (jenes einst von den Sozialdemokraten mit Sinn Fein geheim angebahnte Friedensabkommen, welches 1998 den Nordirland-Konflikt befriedete - die Red.), hat die britische Regierung das Austrittsabkommen zu einem globalen Problem gemacht. Dieses entscheidende Friedensabkommen muss jetzt von der internationalen Gemeinschaft verteidigt werden. Das Austrittsabkommen wird nicht neu verhandelt! Es kann auch nicht einseitig von der britischen Regierung für innenpolitische Zwecke neu oder falsch interpretiert werden!“, schlussfolgert Martin Schirdewan, die aktuellen Vorstöße Boris Johnson kommentierend. Dabei bräuchte der Premier statt das wachsende Austrittschaos inmitten der Corona-Pandemie einen Befreiungsschlag,  wie das Handelsblatt richtigerweise festhält und zugleich einräumt, dass er mit seinem politischen Amoklauf nur wachsende Skepsis in den eigenen Reihen und Enttäuschung und Frust in der Bevölkerung antreibt.

Einerseits gibt es keinen Grund das Austrittsabkommen mit der EU neu zu verhandeln, andererseits hat die EU eine Verantwortung, dass der Nordirland-Konflikt in seinen historischen Schranken bleibt und nicht erneut aufflammt. Die derzeitigen Ankündigungen des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Biden, der keine Freihandelsverträge mit Großbritannien verhandeln wird, wenn das Karfreitagsabkommen aufgekündigt werden sollte, klingen in dieser Entwicklung positiv..

 

Just Transition: Gerechter Übergang wird halbherzig auf den Weg gebracht

Martina Michels in der Fraktionssitzung

Martina Michels war als Obfrau im Regionalausschuss u. a. zuständig für die Verhandlungen zur Ausgestaltung des Just Transitions Fonds, dessen Grundanliegen darin besteht, z. B. ehemalige Kohle-Regionen nicht bei regionalen Umorientierung im Regen stehen zu lassen. Trotzdem macht sich jetzt Enttäuschung breit, weil die Entscheidung für die Förderung von „Brückentechnologien“, wie die Nutzung von Gas als Energiequelle, alles andere als konsequent sind. Es sollten gerade keine veraltete und ebenfalls fossile Energiegewinnung mit dem Just Transition Fonds unterstützt, sondern der Ausstieg ermöglicht werden. „Leider vermasselt das Parlament den Senkrechtstart", so Martina Michels, "für eine zukunftsfähige Produktion mit Energien aus erneuerbaren Quellen. Dass ein Klimaschutz-Fonds Erdgas-Projekte fördern soll, ist so, wie ein bisschen schwanger zu sein. Die EU sollte die zukunftsfähigen Projekte fördern, nur dafür sollte der Fonds verwendet werden. Die Mitgliedstaaten haben genug eigene Mittel, um sich um die Übergangstechnologien zu kümmern.“, hielt sie deshalb nach der Abstimmung fest, bei der sie sich - wie die meisten unserer Fraktion - enthalten hat.

Martina Michels in der Fraktionssitzung, 15.9.2020

 

Krisenbedingte Kulturförderung aus dem Next Generation Fonds muss endlich verbindlich sein

Veranstalter, Techniker*innen & Künster*innen demonstrieren am 9.9. in Berlin für passgenaue Coronahilfen.

Etwas klarer, jedoch nur in Form einer Resolution, ging das Parlament vor, als es um die Kulturhilfen aus dem großen Rettungspaket "Next Generation EU" ging.  598 Abgeordnete stimmten für eine Resolution, die die derzeitige Lage extrem kritisch zusammenfasst. Sie fordern mindestens 2 % aus den Corona-Hilfen der Kommission für die Kultur zu garantieren. Dies ist vor dem Hintergrund gekürzter Kultur- und Bildungsprogramme das Mindeste, was derzeit geschehen muss.  Martina Michels kommentiert die klare Entscheidung: „Meine Fraktion hatte den Vorschlag eingebracht, der nun zur gemeinsamen Resolution des Parlaments geworden ist. Damit haben wir eine klare Position des Europaparlaments dafür, dass dem Kulturbereich nicht nur leere Versprechen gemacht werden, sondern ihm wirklich geholfen wird. Und hier reden wir von mindestens zwei Prozent des Wiederaufbau-Pakets gegen die Corona-Krise. Nun muss dargelegt werden, wie und für welche der aktuellen Hilfsprogramme genau in der Kultur  Geld ausgegeben werden wird. Bisher gehen die zahlreichen Soloselbständigen bei vielen Unterstützungspaketen in den Mitgliedstaaten leer aus, weil noch immer kein adäquater Unternehmer*innenlohn-Ersatz auf dem Tisch liegt und weil viele Künstler*innen, Veranstalter*innen und Techniker*innen als Selbständige in kleinteiligen Unternehmen arbeiten. So besteht die Gefahr, dass sie auch von dem neu aufgelegten SURE-Programm aufgrund ihrer atypischen Tätigkeit nichts abbekommen.“ In ihrer Erklärung griff Martina bewusst die, von Ursula von der Leyen wiederbelebte Förderung der Bauhaus-Philosophie in praktischen Gestaltungsprozessen auf. Sicher wäre es absolut reizvoll, die Überwindung der Corona-Krise auch als ästhetisch-funktionalen Prozess von der Architektur bis zu nachhaltigen Alltagsprodukten zu verstehen und damit auch kulturell eine Krisenbewältigung ernst zu nehmen und zugleich Kultur nicht auf Kunst zu verkürzen. Nur wenn man gleichzeitig bei den ohnehin unterfinanzierten Kulturprogrammen kürzt, klingen solche Versprechen wenig glaubhaft. 

 

Belarus: Die leisen Stimmen der Vernunft für faire Neuwahlen

Helmut Scholz

Martinas Delegationskollege Helmut Scholz ist Mitglied der parlamentarischen Delegation für die Beziehungen zwischen der EU und Belarus. Er kommentierte die Plenardebatte zu Belarus: "Statt auf Repression, Einschüchterung, Entführungen und Folter zu setzen um an der Macht zu bleiben, muss Lukaschenko endlich auf die Bevölkerung in Belarus zugehen. Ein transparenter Dialog mit der Opposition ist die einzige Möglichkeit für die so dringend notwendige politische Lösung, auch durch Vermittlungsbemühungen der OSZE. Alle gesellschaftlichen und politischen Kräfte in Belarus sind in die Vorbereitung freier und fairer Neuwahlen einzubeziehen, um damit eine zukunftsoffene Perspektive eines souveränen Belarus zu ermöglichen. Dafür ist jedoch strikte internationale Zurückhaltung und das Unterlassen jeglicher ausländischen Einmischung in die innergesellschaftliche Neubestimmung des Landes notwendig.“

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