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REGI NEWs Juni '22

EU-Kohäsionspolitik: Strategische Regionalentwicklung oder Dauerkriseneinsatz?

Martina Michels, Plenartagung 2022

EU-Kohäsionspolitik: Strategische Regionalentwicklung oder Dauerkriseneinsatz?

 

Die EU-Strukturförderpolitik verfolgt gewissenhaft ausgehandelte Ziele (Klimaschutz, Modernisierung der Wirtschaft, Digitalisierung, soziale Entwicklung, Bürgernähe) und die EU-Fördermittel werden nach genau festgelegten Regeln vergeben. Eine ausgewogene Balance zu finden zwischen Transparenz und Nachprüfbarkeit der Verwendung der verwendeten Steuermittel auf der einen Seite und praktische, möglichst einfacher Nutzbarkeit auf der anderen Seite ist Gegenstand ständiger Diskussion.

In normalen Zeiten eher am Rande wahrgenommen, scheint die Kohäsionspolitik in Krisensituationen als Finanzierungsquelle oft besonders interessant: Während der Finanzkrise entwickelten sich die Strukturfonds in einigen Ländern und Regionen zum Hauptinstrument öffentlicher Investitionspolitik. In der Covid19-Krise sprangen sie mit vereinfachten Regeln und höheren Finanzierungssätzen (bis zu 100%) ein und kürzlich mit ähnlichen Maßnahmen, um Regionen und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung ukrainischer Flüchtlinge zu unterstützen.

Nach Berlin beispielsweise fließen dadurch über REACT-EU 16,8 Millionen Euro. Berlin unterstützt damit Berufsschulen, benachteiligte Schüler sowie Obdachlose und andere von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffene oder bedrohte Personen. Auch Geflüchtete aus der Ukraine, sollen von dieser Unterstützung profitieren – insbesondere Schüler in Berliner Schulen, die vor dem Krieg fliehen. Außerdem will Berlin innovativen und vielversprechenden Start-up-Projekte unterstützen, die technische Innovationen bereitstellen und die digitale Entwicklung in Medizin und Gesundheitsbereichen beschleunigen (weitere Informationen siehe hier).

Neuer Krisenvorschlag: FAST CARE

Nicht ganz überraschend sind all diese Krisen nicht plötzlich vorbei, wenn befristete Sondermaßnahmen auslaufen. Deshalb hat die EU-Kommission in dieser Woche ein neues Paket geschnürt. Mit längerfristig einfacheren Regeln für EU-Kohäsionspolitik soll die EU flexibler auf Krisen reagieren. Das klingt zunächst plausibel. Auch die Vorschläge an sich scheinen nötig - Unterstützung für Flüchtlinge auch aus anderen Staaten ausbauen, flexible Projektfinanzierung durch verschiedene Fonds, mehr Flexibilität für Projekte, die aufgrund massiv gestiegener Materialkosten oder Materialmangels nicht fristgemäß umgesetzt werden können (siehe Kasten unten).

Nun ist es aber so: Parlament und Rat haben drei Jahre lang über die oben genannten Ziele, Regeln und Finanzierung der Kohäsionspolitik verhandelt. Diese daraus abgeleiteten langfristig zu planenden Entwicklungsstrategien sind genau dafür gedacht, unsere Regionen und Kommunen zukunfts- und krisenfester zu machen. Eine Kohäsionspolitik, die mit ständig neuen kurzfristigen Regeln und Aufgaben daherkommt, wird dadurch weder verständlicher noch nachhaltig wirksamer.

Natürlich braucht es in besonderen Krisen besondere Maßnahmen - und zusätzliches Geld. 100Mrd. Euro zusätzlich für die Bundeswehr, aber nicht für die Unterstützung der Menschen, die unter den Kriegsfolgen leiden? Das läßt sich schlecht erklären.  

Der REGI-Ausschuß wird die Vorschläge der EU-Kommission noch im Juli diskutieren. Parlament und Rat müssen dann entscheiden, ob und welche Änderungen nötig sind, um beides sicherzustellen: Eine langfristig sinnvolle Regionalpolitik und rasche Hilfen dort, wo sie erforderlich sind.

 

  • Mehr Unterstützung für diejenigen, die Vertriebene aufnehmen – Mitgliedstaaten, lokale Behörden und Organisationen der Zivilgesellschaft
  • Die Vorfinanzierungszahlungen werden um weitere 3,5 Milliarden Euro für die Jahre 2022 und 2023 erhöht und sollen allen Mitgliedstaaten rasch mehr Liquidität verschaffen. Dadurch werden die seit März 2022 im Rahmen von REACT-EU bereits geleisteten Vorfinanzierungszahlungen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro aufgestockt.
    • Die Möglichkeit einer 100%igen Kofinanzierung durch die EU im Zeitraum 2014–2020 wird nun auf Maßnahmen ausgeweitet, die die sozioökonomische Integration von Drittstaatsangehörigen fördern. Diese Option gilt auch für Programme des Zeitraums 2021–2027 und muss Mitte 2024 überprüft werden.
    • Die Mitgliedstaaten können den Betrag der mit CARE eingeführten vereinfachten Einheitskosten zur Deckung der Grundbedürfnisse von Flüchtlingen von 40 Euro auf 100 Euro pro Woche und Person erhöhen. Anstelle von bisher 13 Wochen können sie diese Kosten für einen Zeitraum von bis zu 26 Wochen geltend machen. Dadurch wird es noch leichter, Mittel für Vertriebene einzusetzen.
    • Die bereits im Rahmen von CARE zwischen dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) eingeräumte Möglichkeit der Querfinanzierung wird auf den Kohäsionsfonds ausgeweitet. Das bedeutet, dass nun auch Mittel aus dem Kohäsionsfonds mobilisiert werden können, um die Folgen der Migrationsherausforderungen zu bewältigen.
  •  Investitionen dorthin lenken, wo sie benötigt werden
  • Mindestens 30 Prozent der im Rahmen der Flexibilitätsregelungen mobilisierten Mittel sollten für Vorhaben eingesetzt werden, die von lokalen Behörden und in lokalen Gemeinschaften tätigen Organisationen der Zivilgesellschaft verwaltet werden. So können diejenigen angemessen unterstützt werden, die die Hauptlast der Anstrengungen tragen.
  • Ausgaben für Maßnahmen zur Bewältigung der Migrationsherausforderungen können nun auch rückwirkend geltend gemacht werden, selbst wenn das Vorhaben bereits abgeschlossen ist.
  • Im Rahmen der Programme können auch Vorhaben unterstützt werden, die außerhalb des geografischen Anwendungsbereichs des Programms, aber innerhalb des Mitgliedstaats durchgeführt werden. So kann die Unterstützung dorthin geleitet werden, wo sie am dringendsten benötigt wird, da Flüchtlinge häufig innerhalb der Mitgliedstaaten umziehen.
  • Praktische Unterstützung bei der Lösung des Problems der verzögerten Projektdurchführung
  • Projekte über 1 Million Euro, beispielsweise im Bausektor, die im Rahmen der Programme des Zeitraums 2014–2020 gefördert werden, aber aufgrund von Preiserhöhungen, Rohstoff- und Arbeitskräftemangel nicht rechtzeitig abgeschlossen werden konnten, können im Rahmen der Programme des Zeitraums 2021–2027 weiter unterstützt werden.
    • Mehr Flexibilität für die Mitgliedstaaten beim Abschluss der Programme, um den Betrag der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zu maximieren, selbst wenn sich die Durchführung verzögert hat.

Quelle: EU-Kommission: https://germany.representation.ec.europa.eu/news/flexibler-auf-krisen-reagieren-einfachere-regeln-fur-eu-kohasionspolitik-2022-06-29_de 

 

Die nächste REGI-Sitzung findet am 12. Juli von 9h00 bis 17h30 statt und wird im Webstream übertragen. 

Unter anderem wird dort auch ein erster strategischer Initiativbericht zur Kohäsionspolitik nach 2027 verabschiedet werden (Link zu den Sitzungsdokumenten hier).

 

Neues Europäisches Bauhaus: REGI-Stellungnahme liegt vor

Bereits im Juni stimmte der Regionalausschuss über Martinas Stellungnahme zum Neuen Europäischen Bauhaus (EN, deutsche Übersetzung folgt) ab.  Nun ist es am Kultur- und am Industrieausschuss, die für die Regionen zentralen Aspekte der REGI-Stellungnahme in ihren Bericht einzuarbeiten. 

Das Ziel der Initiative „Neues Europäisches Bauhaus“ (NEB) besteht darin, den europäischen Grünen Deal zu stärken und ihm eine starke kreative und kulturelle Dimension zu verleihen, ihn den Menschen in der EU näherzubringen und die Strategien für den Zusammenhalt in der EU zu ergänzen. Schönere, nachhaltigere und inklusivere Lösungen für unsere bebaute Umwelt und Infrastruktur müssen gefunden werden um Klimaschutz und sozioökonomische Entwicklung für alle zu sichern, Dazu muß das Neue Europäische Bauhaus inklusiv sein - sowohl sozial als auch geographisch gesehen.

Eine besondere Rolle bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen sowie wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungsstrategien spielen die Kommunal- und Regionalverwaltungen, die Mensch als Bürger*innen, Anwohner*innen, Arbeitnehmer*innen selbst und die lokalen Unternehmen vor Ort. Deshalb sind sie aus Sicht unseres Ausschusses die zentralen Akteure auch für das NEB. Informations- und Unterstützungsangebote müssen unbedingt auf dieser Ebene zur Verfügung stehen. Klimaschutz steht in fast allen Umfragen weit oben auf der Prioritätsliste. Unzureichend sind noch konkrete und leicht umsetzbare Möglichkeiten vor Ort, statt Appelle „doch mal ein Grad kälter zu duschen“.

Die Bauhaus-Initiative sollte außerdem helfen, Brücken zu schaffen zwischen Wissenschaft und Technologie sowie Kunst und Kultur, zwischen Grenzregionen, Nord- und Südeuropa sowie Ost- und Westeuropa.

Vor allem muß auch die mittel- und langfristige finanzielle Ausstattung für solche Kooperationen und Projekte geklärt werden.

 

 EP-Plenum im Juli debattiert über "Hitzewelle und Dürre in der EU"

Martina Michels im Vorfeld der anstehen den Plenardebatte: "Der voranschreitende Klimawandel verstärkt Hitzewellen und extreme Trockenheit Jahr für Jahr. Das hat verheerende Folgen nicht nur in Europa. Doch viele der Hauptverursacher, die Raubbau an der Natur betreiben, Arbeitnehmer:innen ausbeuten und mit Preistreiberei unverschämte Gewinne einstecken, sitzen in der EU. Klimaschutz und die Umstellung auf erneuerbare Energien müssen deshalb ganz oben auf der EU-Agenda stehen. Klimaschutz ist kein Luxus, er muss für jede und jeden bezahlbar sein. Vor allem die Hauptverursacher müssen zur Verantwortung gezogen werden - mit Übergewinnsteuern, mit Verpflichtungen auf wirksame Ausgleichsmaßnahmen, mit klaren Umweltauflagen und der Umstellung auf erneuerbare Energien. Wir brauchen außerdem eine Politik zur Anpassung an den Klimawandel. Dazu muss die EU den Regionen und Kommunen mehr Geld geben, um ihnen zu helfen, sich gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu wappnen. Der Umfang und die Struktur des Solidaritätsfonds reichen dafür längst nicht mehr aus."

(Debatte Donnerstag, 7. Juli, ab ca. 10:30 Uhr)

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