Deal über den EU-Haushalt bis 2027: Fortschritt sieht anders aus

Nora Schüttpelz

Am 6. Februar einigten sich die Verhandlungsteams der EU-Rats und des Europaparlaments auf ein überarbeitetes Haushaltspaket für die EU bis Ende 2027.  Nach dem gescheiterten Gipfeltreffen im Dezember 2023 hatten sich die EU-Regierungen am 1. Februar doch noch zusammenraufen können, selbst Ungarn hatte seine Blockadehaltung überdacht. Doch trotz der sich überschlagenden Erfolgsmeldungen ist das Ergebnis wird das Ergebnis weder den Aufgaben noch den Erwartungen auch des Euroapaparlaments gerecht. De facto gibt es kaum „frisches Geld“.  In der Summe geht es um einen Gesamtbetrag 64,5 Mrd EUR für verstärkte europäische Prioritäten. Davon sind 31,5 Mrd. EUR Subventionen (finanziert aus 10,5 Mrd. Euro an Umschichtungen und 21 Milliarden Euro an neuen Geldern) und 33 Mrd. EUR Darlehen. Damit bleiben alle noch so guten Strategien für  fairen grünen und digitalen Fortschritt der niemanden zurückläßt und in einen entsprechenden nachaltigen sozial-ökologischen industriellen und Strukturwandel weiterhin halbherzig.

  • Der Haushaltsdeal für neue Ukraine-Fazilität umfaßt 50 Milliarden Euro. Davon sind allerdings (33 Milliarden Euro Darlehen und lediglich 17 Milliarden Euro Zuschüsse. Damit soll akuter Haushaltsnotstand der Ukraine gemindert sowie ihr Wiederaufbau und ihre Modernisierung auf dem Weg zum EU-Beitritt unterstützt werden. Daß die Ukraine Unterstützung für den Wiederaufbau des Landes benötigen wird, ist völlig unumstritten.

Unsere Europaabgeordnete Özlem Demirel ist allerdings von Form und Inhalt nicht überzeugt: „Das bereits vor dem Krieg vollkommen überschuldete Land wird die Schulden nie zurückzahlen können und über Jahrzehnte unter dem Kürzungs-und Anpassungsdiktat der EU stehen. Das heißt, die Bevölkerung der EU und der Ukraine werden dafür bezahlen, während es in der Ukraine weitere Wellen von Privatisierung und Deregulierung geben wird – nach der Devise: Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren. Nachhaltig helfen würden der Ukraine nur ein Ende des Krieges und ein Schuldenerlaß“.

Auch für das Gesetz über die Ukraine-Fazilität gab es in dieser Woche eine Einigung auf Verhandlungsebene. Auf Bestreben des EP gab ein einige Verbesserungen: Mindestens 20% der Mittel sollen für Wiederaufbau und die Modernisierung der subnationalen Behörden der Ukraine wie Regionen, Städte und lokale Gemeinschaften eingesetzt werden. 20 % der Investitionen sind für grüne Initiativen vorgesehen und 15 % für KMU. Es wurden bemerkenswerte Fortschritte bei der Transparenz erzielt, darunter die Einrichtung eines Webportals für die Finanzgeschäfte der Ukraine und die obligatorische Veröffentlichung von Daten über Empfänger von Fördermitteln, die 100.000 Euro übersteigen. Das Abkommen stärkt auch die Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung und unternimmt entschlossene Schritte zur Beseitigung der Korruption in der Ukraine Oligarchen. Fortschritte wurden bei der Transparenz erzielt, darunter die Einrichtung eines Webportals für die Finanzgeschäfte der Ukraine und die obligatorische Veröffentlichung von Daten über Empfänger von Fördermitteln, die 100.000 Euro übersteigen, sowie stärkere Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung und Schritte zur Beseitigung der Korruption in der Ukraine Oligarchen. Zudem sollen das Europäische wie auch das ukrainische Parlament starker an der Aufsicht über die Mittelverwendung beteiligt werden. ​

  • ​Die Haushaltsrevision sieht zusätzliche 2 Mrd. EUR für Migration und Grenzmanagement vor. Angesichts der soeben bestätigten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) ist das nicht erfreulich.

Die Linke Europaabgeordnete Cornelia Ernst dazu: „Zukünftig werden Asylsuchende, einschließlich Familien mit Kindern an der Grenze inhaftiert, und von dort aus, wenn möglich, direkt abgeschoben, auch in sogenannte ‚sichere Drittstaaten‘. Damit ist das individuelle Recht auf Asyl in der EU de facto tot. Eine echte Reform von Dublin ist gescheitert. Statt Menschen aufzunehmen, können die Mitgliedstaaten Abschottungs-Projekte in Drittstaaten finanzieren oder Mittel zur Grenzüberwachung, wie Stacheldraht, innerhalb der EU bereitstellen. Das nennt man dann auch noch ‚Solidarität‘ – das ist blanker Hohn und wird Ersteinreisestaaten wie Griechenland oder Italien nicht entlasten. Hinzu kommt die Einführung mehr als fragwürdiger Konzepte, wie das der ‚Instrumentalisierung‘ von Migration. Dieses ist ein Blankoscheck für die Aussetzung praktisch aller Rechte Schutzsuchender und ein Freibrief für Pushbacks. Das werden die Mitgliedstaaten lustvoll mißbrauchen, um die Ausnahme zur Regel zu machen.

  • Die Haushaltsrubrik „Europa in der Welt“ wird um 7,6 Mrd. EUR  Euro für die Unterstützung von Prioritäten in den Nachbarregionen der EU und weltweit aufgestockt. Darunter ist das ebenfalls neue Programm Fazilität für die Westbalkanländer. Auch hier geht es um die Beschleunigung der Beitrittsfähigkeit zur EU. Auch hier ist stellen Darlehen einen größeren Anteil der Summe dar. Die EU-kommission hatte Ende 2023, parallel zu ihrer Empfehlung, auch mit der Ukraine und Moldawien Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, dieses neue Reform- und Investitionsförderpaket für Serbien, Montenegro, Kosovo, Albanien, Bosnien-Herzegovina und Nordmazedonien vorgelegt. Die Bewertung des Vorschlags in Europaparlament ist noch nicht abgeschlossen. Der REGI-Ausschuß wird seine Stellungnahme am 14. Februar beschließen. Hauptanliegen der Regionalpolitiker sind, den Zielen des Förderinstruments den Gedanken des regionalen, sozialen und territorialen Zusammenhalts hinzuzufügen, die Regionen, Kommunen und Zivilbevölkerung besser in die Ausarbeitung der Reformpläne einzubeziehen, Verwaltungskapazitäten auf allen Ebenen zu stärken, grenzüberschreitende Zusammenarbeit voranzubringen sowie mehr Transparenz und Kontrollmechanismen vorzusehen.

Martina Michels unsere Koordinatorin im REGI-Ausschuß: „Wenn sich die Westbalkan-Länder besser auf den Beitritt zum Binnenmarkt vorbereiten sollen, muß auch der Zusammenhalt und Ausgleich zwischen den Regionen gestärkt werden. Dieses Grundprinzip, daß Kohäsionspolitik und Binnenmarkt zusammengehören verfolgen wir innerhalb der EU seit Jahrzehnten und anders würde es auch nicht funktionieren. Außerdem sind es ganz wesentlich die Regionen und Kommunen, die Reformen und beispielsweise auch Klimaschutzmaßnahmen umsetzen. Die entsprechenden Beteiligungsstrukturen wie auch Verwaltungskapazitäten sind dafür unerläßlich und bedürfen der Unterstützung.

  • Was einst als Antwort auf den Inflation reduction act der USA und als Europäischer Souveränitätsfonds angekündigt war, ist nun eine Plattform für Strategische Investitionen“, zusätzlich finanziert mit 1,5 Mrd. EUR Haushaltsmitteln für den Verteidigungsfonds. Die Investitionen für Förderung „langfristiger Wettbewerbsfähigkeit der EU bei kritischen Technologien in den Bereichen Digitales und technologieintensive Innovationen (Deep Tech), saubere Technologien und Biotechnologie“ müssen nun fast ausschließlich aus den EU-Strukturfonds (EFRE und Just Transition Fonds), dem 2026 auslaufenden Corona-Wiederaufbaufonds RRF und anderen kleineren Förderprogrammen umgeschichtet werden. Das gilt auch für Projekte unter dem ebenfalls kurz vor Abschluß stehenden Netto-Null-Industrie-Gesetz.   

Martina Michels, hatte bereits den ursprünglichen Vorschlag für STEP kritisch gesehen (damals waren noch 10Mrd. EUR frisches Geld vorgesehen): „Der großen Vision für einen Europäischen Souveränitätsfonds kommt die EU mit STEP höchstens ein STEPchen, ein Schrittchen, näher. Die Mittelausstattung ist zu belächeln, das Prinzip linke Tasche – rechte Tasche kommt einmal mehr zur Anwendung. Bezüglich der EU-Strukturfonds scheint die Kommission die Mitgliedstaaten und Regionen mit bevorzugter Vor- und Ko-Finanzierung zur erneuten Umprogrammierung ihrer soeben fertiggestellten Förderpläne drängen zu wollen. Innovative Investitionen sind natürlich wichtig, aber längst nicht das einzige, was in vielen Regionen an materieller, industrieller und sozialer Infrastruktur fehlt. Zusätzlichen Mitteln für den Verteidigungsfonds und durch das Souveränitätssiegel engerer Verknüpfung dieses Fonds mit Fördertöpfen für Forschung, Gesundheit, Digitalisierung und Innovation stehen wir natürlich skeptisch gegenüber.“

Das Parlament konnte immerhin einige Verbesserungen inhaltlicher Art durchsetzen, so beispielsweise, daß die Verwendung von Geldern aus den Strukturfonds auch stärker als ursprünglich vorgesehen an die Strukturfondsziele gekoppelt werden muß, daß bei der Förderung KMU bevorzugt werden sollten und maximal 20% der EFRE-Mittel überhaupt umgeschichtet werden dürfen.

  • Das Parlament hat mit der Haushaltsüberprüfung dafür gesorgt, dass ein Mechanismus eingeführt wird, um die steigenden Kosten für die Rückzahlung von Next Generation EU/RFF vor dem Hintergrund steigender Zinssätze zu bewältigen. Er umfaßt die Verwendung nicht ausgegebener Mittel, die andernfalls im EU-Haushalt verlorengehen würden, sowie ein Sicherheitsnetz mit zusätzlichen Beiträgen der Mitgliedstaaten im Bedarfsfall. Ohne diesen Mechanismus, könnte es notwendig werden, Gelder für die massiv gestiegenen Rückzahlungskosten aus Programmen wie Erasmus+ oder der Förderung der grenzüberschreitenden Verkehrs- und Energieinfrastruktur u. a. abzuziehen.
  • Um sicherzustellen, daß der EU-Haushalt auch in Zukunft auf unvorhergesehene Umstände reagieren kann, wird das Flexibilitätsinstrument um 2 Mrd. EUR aufgestockt und der Höchstbetrag der Solidaritäts- und Soforthilfereserve um 1,5 Mrd. EUR erhöht und auf zwei verschiedene Instrumente aufgeteilt: die Europäische Solidaritätsreserve und die Soforthilfereserve.

Der Haushaltsdeal zeigt recht deutlich, wo die Prioritäten der EU-Mitgliedstaaten aktuell und wohl für die kommenden Jahre liegen: Bei geostrategischen Überlegungen, Grenzschutz und Migrationsbeschränkung und Industrieförderung zum Preis von ausgewogener und klimafreundlicher wirtschaftlicher und sozialer, inklusiver Entwicklung. Denn bekanntlich setzt Spar- und Kürzungspolitik allerorts wieder ein, nachdem in der Corona-Pandemie und Energiepreis und Inflationskrise so etwas wie Hoffnung auf grundlegenderes fiskalpolitisches Umdenken bestand. Mehr Geld für den EU-Haushalt und die massiv gestiegenen Aufgaben und Erwartungen sind damit kaum zu erwarten. Trotz der Beteuerung der für die Kohäsionspolitik zuständigen Minister bei ihrem Treffen in Mons in dieser Woche, daß die Kohäsionspolitik die wichtigste Politik für langfristige Investitionen sei und bleiben müssen, bleibt es daher auch Aufgabe, ihren ausgleichenden, inklusiven regionalen und lokalen Charakter zu erhalten.

Kurzbriefing des wissenschaftlichen Dienstes des Europaparlaments