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Keltischer Tiger am Boden

Andreas Wehr für junge Welt

Der Ort war gut gewählt. Die weit mehr als 50000 Demonstranten, die am 27. November 2010 zusammengekommen waren, um gegen die Entscheidung der irischen Regierung zu protestieren, das Land der Europäischen Kommission und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) auszuliefern, versammelten sich vor der Hauptpost von Dublin. Es ist jener Platz, von dem 1916 der Aufstand der Iren gegen die britische Fremdherrschaft seinen Ausgang nahm. Ein Kampf, der 1921 mit der Erringung der Unabhängigkeit endete.

Heute ist die Lage unübersichtlicher. Der Kampf richtet sich nicht allein gegen einen äußeren Gegner, gegen EU-Kommission und IWF. Gegner ist jetzt auch die eigene Bourgeoisie, die das Land in den Ruin geführt hat und nun über von außen auferlegte Zwangsmaßnahmen ihr Fell retten will. Arthur Morgan von der linken Oppositionspartei Sinn Fein fand hierfür martialische Worte: »Das irische Volk wird zum finanziellen Hungertod verurteilt, während sich die parasitären Kredithalter vom Blut der Ökonomie ernähren.«

Warum Irland?

Die über Irland hereingebrochene Katastrophe ist Teil der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise. Sie frißt sich in der EU von Land zu Land und könnte eines Tages die Euro-Zone, wenn nicht sogar die gesamte Europäische Union verschlingen. Gestern war es Griechenland, heute ist es Irland, morgen Portugal und Spanien und übermorgen womöglich Italien, die nicht mehr weiter wissen. Das Grundmuster ist dabei immer gleich: Große Leistungsbilanzüberschüsse der kerneuropäischen Länder, allen voran des langjährigen Exportweltmeisters Deutschland, haben im Zentrum der EU zu einem hohen Surplus geführt. Stagnierende Löhne und knapp gehaltene öffentliche Haushalte boten hier kaum mehr attraktive Investitionsmöglichkeiten. So wurden großen Summen europäischen Geldes in den USA angelegt und halfen dort mit, eine gigantische Immobilienblase entstehen zu lassen. Noch mehr Geld wurde in die Länder der europäischen Peripherie gepumpt. Auch dort waren die Bedingungen günstiger als in Kerneuropa, auch hier winkten höhere Profite. Ausländische Banken verliehen in den Jahren vor der Krise an den irischen Staat, an Unternehmen, Banken und andere Schuldner insgesamt 731 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: An Griechenland gingen 175, an Portugal 235 und an das sehr viel größere Spanien 876 Milliarden Dollar.

Ist die Ursache der Krisen überall gleich, so unterscheiden sie sich in ihrer konkreten Form entsprechend den jeweiligen nationalen Bedingungen. In Griechenland und Portugal haben wir es mit hohen Staatsschulden zu tun, im Baltikum sind Unternehmen und Privatpersonen hoffnungslos überschuldet, und in Irland und in Spanien entstanden riesige Immobilienblasen. Sie platzen in der Krise und rissen spanische Sparkassen und irische Banken mit sich. Die irische Krise ist ein Produkt von hereinströmendem billigen Geld aus Kerneuropa, niedrigen Kapitalmarktzinsen, expansiver Fiskalpolitik, verbreiteter Vetternwirtschaft und einer völlig unzureichenden Bankenaufsicht. Nur so konnte etwa aus einem Provinzgeldhaus wie der Anglo-Irish Bank, das sich zuvor mit der Kreditfinanzierung von Haushaltsgeräten für Privathaushalte über Wasser hielt, über Nacht ein riesiger Immobilienfinanzierer werden.

Mit dem abrupten Ende des Immobilienbooms gerieten die irischen Banken sofort in Probleme. Und sogleich wurde der Staat zur Rettung der Banken aktiv. Im Herbst 2008 verkündete die Regierung in Dublin kurzerhand eine Garantie für alle Einlagen in irischen Banken. Dies sollte einem drohenden Kapitalabfluß entgegenwirken und zugleich Geld von außen anlocken. Andere europäische Regierungen fühlten sich genötigt, es den Iren gleichzutun. Nur zu gut ist noch das Bild von Kanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück in Erinnerung, als sie gemeinsam vor die Kameras traten und mit betretenen Gesichtern erklärten, daß alle Spareinlagen in Deutschland sicher seien.

Die Bankenrettung, ein Alptraum

Heute bereut die Regierung in Dublin womöglich ihr leichtfertiges Versprechen von damals, denn die Stabilisierung der heimischen Banken entwickelt sich zu einem wahren Alptraum. Sie verschlingt Milliarde auf Milliarde, und ein Ende ist noch lange nicht abzusehen. Allein zur Stabilisierung der drei am stärksten unter Druck geratenen Banken wurden bisher 30 Milliarden Euro aufgewandt. An der Spitze steht dabei die inzwischen verstaatlichte Anglo-Irish Bank mit 23 Milliarden Euro. An die Bank of Ireland, an der der Staat mit 36 Prozent beteiligt ist, gingen 3,5 Milliarden Euro. Ebensoviel erhielt die Bankengruppe Allied Irish Banks, an der die Regierung inzwischen 18 Prozent hält. Verglichen mit den Hilfen aus dem deutschen Bundeshaushalt allein an die Hypo Real Estate, die weit mehr als 100 Milliarden an Kapital und staatlichen Garantien erhielt, scheint dies auf den ersten Blick noch nicht einmal viel zu sein. Diese Summen müssen aber in ein Verhältnis zur Wirtschaftskraft eines Landes von nur 4,3 Millionen Einwohnern gesetzt werden. Und vor diesem Hintergrund sind sie wahrlich gigantisch. Die irischen Bankenrettungspakete führen in diesem Jahr zu einem Haushaltsdefizit von knapp 33 Prozent. Das ist einsamer Rekord in der EU. Das bisher höchste Jahresdefizit lag bei 18,5 Prozent in 2009 für Lettland. Zur Erinnerung: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU schreibt ein Defizit von höchstens drei Prozent vor.

Und es ist absehbar, daß noch sehr viel mehr Geld gebraucht wird. »Schon bislang war die irische Regierung davon ausgegangen, daß die Bankenrettung das Land rund 50 Milliarden Euro kosten wird. Nun sind als Teil des Notkredits der EU und des Internationalen Währungsfonds weitere 35 Milliarden für die Banken reserviert. Es ist binnen zwei Jahren der vierte Anlauf zur Stabilisierung des irischen Bankensektors. Die Gesamtkosten des Rettungseinsatzes für die Geldhäuser könnten damit bis zu 85 Milliarden Euro erreichen – mehr als die Hälfte des irischen Bruttoinlandsprodukts.« (FAZ vom 2.12.2010) Angesichts dieser Lasten wäre es sehr viel besser gewesen, zumindest die Anglo-Irish Bank in Konkurs gehen zu lassen, anstatt sie mit über 23 Milliarden Euro aufzufangen und dann auch noch zu verstaatlichen. Doch das hätte ja den Einlegern, natürlich auch solchen aus kerneuropäischen Ländern, Opfer abverlangt. Und das darf eben nicht sein. Einen Forderungsverzicht, einen sogenannten Haircut, soll es nicht geben, das Kapital muß unbedingt geschont werden!

Aus Sorge um die wachsende Nervosität auf den internationalen Kapitalmärkten versuchte die irische Regierung unter Ministerpräsident Brian Cowen die Finanznöte der Banken und damit des ganzen Landes so lange wie irgendwie möglich herunterzuspielen. Immer wieder wurde von Dublin darauf verwiesen, daß man alles unternehme, um die öffentlichen Finanzen unter Kontrolle zu bekommen. Tatsächlich hatte die Regierung bereits sehr früh massive Kürzungen im Sozialhaushalt und bei den Gehältern im öffentlichen Dienst angeordnet. Voller Anerkennung hieß es: »Irland galt in den vergangenen Monaten fast schon als Musterbeispiel dafür, wie ein hochverschuldetes Land mit harten Reformen das Vertrauen zurückgewinnen kann.« (Die Welt vom 26.8.2010). Vor allem Griechenland wurden die irischen Kürzungsprogramme immer wieder als Vorbild präsentiert.

Doch spätestens Ende August 2010 wurde absehbar, daß all diese Kürzungen nichts gebracht hatten. Erst senkte die Ratingagentur Moody’s den Daumen, dann folgte ihr die Agentur Standard & Poors mit einer Abstufung des Landesratings. Damit war es nur noch eine Frage der Zeit, wann das Land in die Knie gehen würde. Ende November war es soweit. Auf einem Sondertreffen der EU-Finanzminister wurde mit der bis zum letzten Augenblick störrischen irischen Regierung vereinbart, daß das Land Mittel des sogenannten »Rettungsschirms« in Höhe von 85 Milliarden Euro in Anspruch nehmen wird. Zur offiziellen Begründung wurde angegeben, daß die in den Wochen zuvor deutlich gestiegenen Renditeanforderungen für irische Staatsanleihen negative Rückwirkungen auf die Finanzierungsmöglichkeiten von Portugal oder Spanien hätten, mithin eine akute Ansteckungsgefahr bestehe.

Krise erreicht Zentralbank

Doch das ist noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Tatsächlich drängte die Europäische Zentralbank darauf, daß sich Irland unter den »Rettungsschirm« stellt. Und dies aus zwei Gründen: Die Banker in Frankfurt beobachteten zum einen mit wachsender Sorge, daß immer stärker irische Banken von dem Angebot der Europäischen Zentralbank (EZB) Gebrauch machten, sich bei ihr neue Liquidität, d. h. Kredite in unbeschränkter Höhe zum aktuellen Leitzins von einem Prozent zu leihen. Da der Interbankenmarkt aufgrund des Mißtrauens unter den Banken seit Beginn der Krise gestört ist, sind vor allem kapitalschwache Banken auf diese Geldquelle dringend angewiesen. Allein im Oktober 2010 wurden solche Kredite in Höhe von 130 Milliarden Euro von irischen Banken nachgefragt, darunter entfielen allein 35 Milliarden auf die zur deutschen Hypo Real Estate gehörende irische Zweckgesellschaft Depfa. Spanische Banken verlangten im gleichen Zeitraum nur knapp 72, griechische 92 und portugiesische 40 Milliarden Euro. Nun vergibt die EZB solche Kredite nicht ohne Sicherheiten. Die von den irischen Banken beigebrachten Garantien, ausgegeben von einer staatlichen Auffanggesellschaft, hängen aber in ihrem Wert vor allem von den strauchelnden Banken ab. Und was ihr Schicksal angeht, so wächst täglich die Ungewißheit. Im November wurde etwa gemeldet, daß beim Finanzdienstleister Irish Life and Permanent Geschäftskunden im August und im September 600 Millionen Euro ihrer Bankeinlagen abgezogen hatten, das sind 11 Prozent der gesamten Einlagen.1 Es wurde also für die EZB Zeit, zu handeln.

Der zweite Grund ergab sich aus der von der Zentralbank eingegangenen Verpflichtung, Banken Staatsanleihen abzukaufen. Dies war eine der Vereinbarungen des EU-Krisengipfels von Anfang Mai 2010. Nach Vorbild der US-amerikanischen Notenbank wurde damit auch die EZB zu einer »Bad Bank«. Bei ihr sammeln sich nun Anleihen von Staaten, bei denen niemand mehr sicher sein kann, ob sie nicht eines Tages Bankrott anmelden. Kommt es dazu, so verliert auch die EZB auf diese Weise viel Geld. Kurz nach der Entscheidung vom Mai wurde gemeldet: »Zahlreiche Banken haben die Käufe der Europäischen Zentralbank von illiquiden Staatsanleihen der finanzschwachen Euroländer genutzt, um ihre Anlagen umzuschichten. Bankenvertreter in der Londoner City berichteten, am vergangenen Montag hätten Institute illiquide Anleihen vor allem von Griechenland, Portugal und Irland an die Notenbanken von Deutschland, Frankreich und Italien abgegeben und statt dessen deutsche Bundesanleihen oder britische Staatsanleihen gekauft.«2 Mittlerweile hat die EZB solche Staatsanleihen in Höhe von insgesamt 69 Milliarden Euro aufgekauft, unter ihnen waren in den letzten Wochen überdurchschnittlich viele des irischen Staates. Auch dieser Umstand drängte die Zentralbank zum Handeln.

Das Verlangen der EZB, daß die Iren Kredite des »Rettungsschirms« annehmen, liegt daher vor allem in ihrem eigenen Interesse begründet. Dieses Vorgehen zeigt zugleich, daß die Mittel der EZB zur Eindämmung der Krise nicht mehr ausreichen bzw. für die Zentralbank unkalkulierbare Risiken heraufbeschwören. Mit Irland hat die europäische Krise mithin das Entscheidungszentrum der gemeinsamen Währung, die Europäische Zentralbank, erreicht.

Neoliberale Gewaltkur

Um die enormen Summen zur Stützung der Banken aufbringen zu können, sind in Irland bereits mehrfach Sozialausgaben und Gehälter im öffentlichen Dienst gekürzt worden. Das Haushaltsbudget für 2010 wurde um vier Milliarden Euro abgesenkt. Die Beschäftigten des öffentlichen Sektors erhalten in diesem Jahr 15 Prozent weniger Gehalt. Sozialleistungen wurden generell um vier, Leistungen für Kinder um zehn Prozent gekürzt.

Das nun als Preis für die finanzielle Hilfe verkündete »Programm von EU und Internationalen Währungsfonds über finanzielle Unterstützung für Irland«3 verschärft diese unsoziale Kürzungspolitik. In 2011 sollen erneut mehr als zwei Milliarden Euro durch Streichungen bei Sozialprogrammen zusammenkommen. Vorgesehen ist eine Gehaltskürzung für Renten und Pensionen des öffentlichen Dienstes von im Durchschnitt vier Prozent. Die öffentlichen Investitionen in 2011 sollen, über die bisher verkündeten Reduzierungen hinaus, um weitere 1,8 Milliarden Euro sinken. Hilfen für Arbeitslose werden um vier Prozent und das monatliche Kindergeld um zehn Euro gekürzt.

EU-Kommission und IWF haben dem Land ein ähnliches Programm aufoktroyiert wie Anfang Mai Griechenland. Wie dieses beschränkt sich auch das für Irland keineswegs nur auf Kürzungen im Budget. Es wurde vielmehr die Gelegenheit ergriffen, dem Land eine brutale neoliberale Gewaltkur zu verpassen. So muß der Mindestlohn um einen Euro gekürzt werden. Das System der Arbeitslosenunterstützung ist so zu verändern, daß es »frühzeitig Anreize« zur Arbeitsaufnahme bietet, was bedeutet, daß die Unterstützung schneller abgesenkt werden kann. Dies soll bereits in 2011 750 Millionen Euro einsparen. Die Regierung mußte sich verpflichten, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. In 2014 soll es bei 66 Jahren liegen, 2021 wird es auf 67 und 2028 sogar auf 68 Jahre angehoben. Wie auch im Knebelungsvertrag mit Griechenland verlangen EU und IWF in dem Programm weitreichende »Strukturreformen«, etwa zur »Öffnung sogenannter geschützter Sektoren«. Solche Sektoren sieht man bei juristischen Berufen, medizinischen Diensten und Apotheken. Für die niedergelassene Ärzteschaft bedeutet dies die Zulassung von Werbung für medizinische Dienste.

Detailreich und genau werden im EU/IWF-Programm alle möglichen Quellen für Einnahmeerhöhungen durchforstet, nur die so leicht mögliche Anhebung des skandalös niedrigen Unternehmenssteuersatzes von 12,5 Prozent wird nicht einmal erwogen. Es bleibt dabei, daß Irland mit diesem extrem niedrigen Satz den europaweiten Steuersenkungswettbewerb weiter anheizen kann. Hier dürfte der Druck großer Pharmakonzerne wie Pfizer und von IT-Unternehmen wie Google und Facebook, die – wie auch manche deutsche Monopole – ihre Europazentralen in Irland haben, gewirkt haben. Und in der Steuerfrage respektiert man in erstaunlicher Weise plötzlich die irische Souveränität. So wurde Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gefragt: »Die Iren haben deutlich niedrigere Unternehmenssteuern als Deutschland. Gehört denn nicht zu ihrer Verantwortung, daß sie sich erst einmal selbst helfen und die Steuer erhöhen? Antwort: Ich glaube nicht, daß es hilfreich ist, wenn Regierungsmitglieder aus anderen Ländern darüber spekulieren, was wir im Falle eines Falles an Bedingungen und Auflagen in einer Rettungsaktion machen.« (FAZ, 22.11.10)

Doch ob das 85 Milliarden Euro umfassende »Rettungspaket« zur Überwindung der Krise führen wird, ist mehr als ungewiß. Die vergebenen Kredite müssen mit 5,8 Prozent verzinst werden. Dies ist nur knapp unterhalb der Marge von sechs Prozent, ab der ein hochverschuldetes Land als nicht mehr in der Lage angesehen wird, seine Last jemals abtragen zu können. Ganz ungeniert erklärte der deutsche Chef des Finanzstabilisierungsfonds, Klaus Regling, die Durchsetzung dieser hohen Zinslast zu einem Erfolg: »Die Zinsen, die Griechenland oder Irland zu zahlen haben, liegen höher als die Kapitalkosten. Also ist die Wahrscheinlichkeit höher, daß Deutschland damit einen Gewinn macht, als daß es einen Verlust schreibt.« (FAZ vom 02.12.2010)

Entscheidend ist, ob die irische Wirtschaft überhaupt noch das notwendige Wachstum aufbringen kann, um aus dem Tief herauszukommen. Doch damit steht es schlecht. Im zweiten Quartal 2010 ist das Bruttoinlandsprodukt deutlich geschrumpft. Die Arbeitslosenquote hat sich auf 12,8 Prozent erhöht. Und die jetzt verlangten einschneidenden Kürzungsprogramme werden die Nachfrage erneut sinken lassen. Weitere Insolvenzen und eine noch höhere Arbeitslosigkeit werden die Folgen sein. Irland ist, wie bereits Griechenland, auf dem Weg in die Depression. Die von der EU verlangten Kürzungen bedeuten weniger Wachstum: »Die EU ist wie ein Hund, der seinen Schwanz jagt. Die Kommission sagt, er müsse schneller jagen.«4 So bleibt die Stimmung von Pessimismus geprägt: Die »Märkte kalkulieren derzeit bei Irland mit der Wahrscheinlichkeit von 40 Prozent für eine langfristige Zahlungsunfähigkeit.« (FAZ vom 22.11.2010)

Kräfte des Widerstands

Der am 7. Dezember verabschiedete Haushalt für 2011 war die letzte Tat der gescheiterten Regierung unter Ministerpräsident Brian Cowen. Die Grünen, die in Irland noch weiter rechts stehen als im übrigen Europa, haben sich entschlossen, das Regierungsbündnis mit Fianna Fáil aufzukündigen. Wahrscheinlich wird im Februar ein neues Parlament gewählt. Grundlegende Veränderungen sind davon nicht zu erwarten. In Irland herrscht seit Jahrzehnten ein stabiles bürgerliches Parteiensystem. Fianna Fáil, das sich den Liberalen zurechnet, und die konservative Fine Gael wechseln sich dabei ab. Die Arbeiterbewegung ist auf der Insel traditionell schwach. Sozialdemokraten und Gewerkschaften haben sich jetzt völlig dadurch diskreditiert, daß sie die Kürzungsprogramme kampflos hinnahmen.

Gegen den Sozialraub mobilisiert das neu gegründete Bündnis »United Left Alliance«. In ihm haben sich die Sozialistische Partei (eine Schwesterorganisation der deutschen »Sozialistischen Alternative – SAV«) des Europaabgeordneten Joe Higgins, die »People before Profit Alliance« sowie verschiedene Einzelpolitiker, unter ihnen auch der ehemalige Parlamentsabgeordnete Seamus Healy, zusammengeschlossen. Das Bündnis plant, bei den Parlamentswahlen anzutreten.

Auf der Seite des Widerstands steht vor allem die traditionsreiche Sinn Fein. Sie hat sich in den letzten Jahren nach links entwickelt. Bei einer Nachwahl im November im Wahlkreis Donegal South West kam ihr Kandidat mit klarem Abstand auf den ersten Platz. Die Programmatik von Sinn Fein verbindet die soziale mit der nationalen Frage, die in Irland bis heute ein starkes emanzipatorisches Element enthält. Diese Tradition könnte für die Pläne der Herrschenden gefährlich werden. Mit Sorge fragt man sich dort bereits: »Läßt sich die Hilfe innenpolitisch überhaupt durchsetzen, wenn ein Land de facto unter ausländisches Protektorat gestellt wird, das immer noch unter dem Trauma langjähriger Fremdherrschaft leidet?« (FAZ vom 22.11.2010). Diese Angst vor neuer Fremdherrschaft ließ in Irland schon zweimal europäische Verträge scheitern: Der Vertrag von Nizza wurde dort 2001 in einer Volksabstimmung abgelehnt. Erst in der Wiederholung erhielt er eine Mehrheit. 2008 lehnten die Iren den Lissaboner Vertrag ab. Auch über ihn mußte noch einmal abgestimmt werden. Wenn es um die Verteidigung der nationalen Souveränität geht, sind die Iren also zu so mancher Überraschung fähig.

1 »Irland feels the pressure«, in: Financial Times vom 18.11.2010

2 »Banken laden Staatsanleihen bei der EZB ab«, in: FAZ vom 15.05.2010

3 Vgl. EU/IMF Programme of Financial Support for Ireland, Programme Documents, 01.12.2010

4 Wolfgang Münchau, Warum die Euro-Zone zerbricht, in: Financial Times Deutschland vom 02.12.2010

Von Andreas Wehr erschien im Oktober 2010 im PapyRossa Verlag: »Griechenland, die Krise und der Euro«, 179 Seiten, 12,90 Euro. Auch im jW-Shop erhältlich.


Mehr Informationen unter: www.andreas-wehr.eu

 

Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL)