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Griechenland: Depression oder Demokratie ?

Fabio De Masi: Die Griechen haben beim Referendum 'Oxi' zu Angst und Depression gesagt. Das passt EU-Kommissionspräsident Juncker, Bundeskanzlerin Merkel und auch den Rivalen um die Vizekanzlerschaft Sigmar Gabriel und Martin Schulz (SPD) nicht. Man möchte sinngemäß mit Berthold Brecht antworten: "Wenn Ihnen das griechische Volk nicht passt, sollen Sie sich ein Neues wählen!"

Die Mächtigen in Europa terrorisieren die Bevölkerung weiter mit ihrem Kurs auf einen Trümmer-Euro. Seit der "Griechenland-Rettung" ist die Wirtschaft um 25 Prozent geschrumpft, die Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftskraft sind von etwa 109% in 2008 auf 180% explodiert, die Arbeitslosigkeit hat sich auf über 26 Prozent verdreifacht – jeder zweite Jugendliche ist ohne Job.  Die Löhne sind im Schnitt um 25 Prozent gesunken. Über 30 Prozent der Griechinnen und Griechen verfügen über keine Krankenversicherung mehr. Nur etwa 14 Prozent der Arbeitslosen erhalten staatliche Transfers, die Alten ernähren mit kümmerlichen Renten die Jungen. Kinder sind mitten in Europa unterernährt und fallen im Schulunterricht in Ohnmacht.

Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras soll entweder ein neues Kürzungsprogramm unterschreiben, was Griechenland in eine neue Rezession stürzen würde, oder das griechische Volk wird mit einem unkontrollierten Grexit bestraft. Beides wäre auch ein Verrat an den Steuerzahlern. Denn wer kein Einkommen erwirtschaftet, kann auch keine Kredite bedienen. Kredite, die nicht aufgenommen wurden, um die griechische Krankenschwerster oder die Rentner zu retten, sondern überwiegend deutsche und französische Banken.

Auch die Aussprache im Europaparlament mit Alexis Tsipras war Laientheater. Viele Finger zeigten auf den griechischen Ministerpräsidenten. Juncker blieb seinem Motto treu: "Wenn es ernst wird, müssen wir lügen!" So behauptete der Luxemburger Pate der Steuermafia, die EU-Kommission habe keine Rentenkürzungen verlangt und sich für die Besteuerung der griechischen Reeder eingesetzt (wofür in Griechenland eine verfassungsändernde Mehrheit gegen Merkels Parteifreunde von den Konservativen erforderlich wäre), die sich durch Ausflaggung der Besteuerung entziehen. In Luxemburg sind übrigens über etwa 350 Schifffahrtsunternehmen registriert. Das Land hat aber gar keinen Meereszugang...

Die griechische Regierung hat viele Forderungen der Institutionen und der Eurogruppe akzeptiert. Inmitten der tiefen Rezession will man surrealen Zielen für Haushaltsüberschüsse vor Zinsen zustimmen. Tsipras hat Erhöhungen der Mehrwertsteuern zugestimmt und strebt eine Reform der Frühverrentung bei gleichzeitigem Aufbau eines moderaten sozialen Netzes an. Die Gläubiger wollen jedoch Mehrwertsteuererhöhungen, die den Tourismussektor abwürgen und Rentenkürzungen für die Ärmsten. Und nach dem Referendum kommen nun trotzige Forderungen, wenn es noch eine Einigung geben soll, dann müsse Athen jetzt noch stärker kürzen. Die wenigen Stimmen der Vernunft - aus Paris und Rom mit Unterstützung aus Washington - werden in Berlin und Brüssel ignoriert.

Das Rezessionsprogramm der Gläubiger und neue Kredite zur Ablösung alter Schulden müssen beerdigt werden. Die Europäische Zentralbank muss das mutwillig herbeigeführte Bankenchaos beenden und die Stabilität des Bankensystems garantieren. Es muss eine zügige Umschuldung vereinbart werden statt endloser Kreditpakete. Griechenland braucht ein öffentliches Investitionsprogramm, Unterstützung beim Aufbau einer funktionierenden Verwaltung und eine Vermögensabgabe für Millionäre nach dem Vorbild des deutschen Lastenausgleichs.

Der Europaabgeordnete Fabio De Masi (DIE LINKE.) ist Mitglied des Ausschusses für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments

Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL)